Gut zwei Jahre haben wir uns mit der Elbe, diesem wunderbaren Fluss befasst. Wir haben die Landschaft rechts und links der Ufer erkundet, haben faszinierende, woanders längst verschwundene Tiere beobachtet und Pflanzen entdeckt, von denen wir vorher gar nichts wussten.
Wir haben dieses Buch »Wilde Elbe« genannt. Über den Titel haben wir lange und intensiv diskutiert. Einige von uns meinten, der Begriff »wild« passe nicht zur Elbe, denn er vermittle ein unrealistisches Bild des Flusses. Zugegebenermaßen ist ursprüngliche Wildnis in unserer mitteleuropäischen Kulturlandschaft weitgehend verschwunden. Doch in den zwei Jahren, in denen wir uns mit der Elbe befasst und die Landschaft rechts und links ihrer Ufer erkundet haben, konnten wir faszinierende, woanders längst verschwundene Tiere beobachten und Pflanzen entdecken, von denen wir vorher gar nichts wussten.
Der Strom und seine Einzugsgebiete beheimaten heute in Teilbereichen wieder eine dynamische Natur, die nicht mehr möglich schien. Daher konnte der Titel des Buches am Ende doch alle überzeugen.
Die Elbe war über Jahrzehnte nicht viel mehr als ein großer, schmutziger Abwasserkanal. Dieser Zustand ist durch länderübergreifende Schutzbemühungen heute Geschichte. Der Fluss ist wieder voller Leben und charakteristische Fische, Muscheln und Kleinstlebewesen sind zurückgekehrt. Ein naturschonender Umgang mit unseren Flüssen ist Teil der gesellschaftlichen Diskussion geworden. So gibt es im Bereich der Mittelelbe hoffnungsvoll stimmende nachhaltige Projekte, die ihr mehr Raum geben und sie dadurch wieder lebendig machen. Noch vor Jahrzehnten war es unvorstellbar, Deiche zurückzubauen.
Heute ist dies möglich und es geschieht. Denn es sind nicht die ganz nah am Fluss gebauten Deiche, die uns Sicherheit geben. Sie sind ein Korsett, sie schnüren den Fluss ein und machen bei Hochwasser die Strömung schnell und unberechenbar. Ein zurückgesetzter Deich erlaubt es dem Hochwasser, sich in der Fläche zu verteilen, und bremst so die Kraft des abfließenden Wassers. Wir haben zudem versucht zu verstehen, was Buhnen bewirken, wie Deiche funktionieren und wie sich Staustufen und Talsperren auf den Strom und das Leben in seinem Einzugsgebiet auswirken. Wir werden daher hellhörig, wenn Wirtschaft und Politik, egal ob in Tschechien oder in Deutschland, Maßnahmen planen, die eine weitere Einengung und Kanalisierung des Flusses zur Folge haben. Gleichzeitig können sich in den neu geschaffenen Flächen einzigartige Feuchtwiesen und flusstypische Auwälder entwickeln. Unsere intensive Beschäftigung mit der Elbe hat uns enorm sensibilisiert. Mit Begeisterung haben wir die positiven Entwicklungen im und am Fluss infolge von Renaturierungsmaßnahmen beobachtet. Entlang der 371 Flusskilometer der Elbe in Tschechien gibt es insgesamt 24 Staustufen, zwei Talsperren und mehr als zwanzig Wehre. Für ihren immensen Ausbau gab es mehrere Gründe. Einer der wichtigsten war neben dem Schutz vor Überschwemmungen und der Trinkwasserspeicherung die Schiffbarkeit.
Tschechien ist als Binnenland sehr daran interessiert, über die Elbe Zugang zur Nordsee zu haben. Dieser Intention folgend, wurde von der dortigen Wirtschaft eine neue, riesige Staustufe in Děčín an der Grenze zu Deutschland eingefordert. Wir fragen uns, ob eine solche Planung noch zeitgemäß ist. Denn im deutschen Elbabschnitt ist aufgrund der zu geringen Wassertiefe seit 2016 keine durchgehende Frachtschifffahrt mehr möglich. Die klimatischen Veränderungen lassen diesbezüglich keine Änderungen erwarten. Deshalb ist der Bau der Staustufe in Děčín auch sehr umstritten und liegt aktuell auf Eis. Wir hoffen, der Plan wird ganz aufgegeben. Denn seine Umsetzung wäre für die Natur der Elbe katastrophal. Bei uns in Deutschland gibt es bis auf Geesthacht keine Staustufen, aber durchaus ernste Probleme, vor allem verursacht durch die so harmlos aussehenden Buhnen. In den vergangenen 200 Jahren sind im gesamten deutschen Elbabschnitt etwa 7000 Buhnen gebaut worden. Sie ragen als aufgeschotterte Bauwerke weit in den Fluss hinein und sollen die Wassertiefe erhöhen. Dies hat einen gefährlichen Nebeneffekt: Die Buhnen erhöhen die Fließgeschwindigkeit der Elbe in der Flussmitte. Schon seit Jahrzehnten gräbt sich das Flussbett Jahr um Jahr tiefer in den Untergrund. Parallel dazu sinkt der Grundwasserspiegel auf beiden Elbseiten. Die Natur am Ufer vertrocknet und die Landwirtschaft wird mehr und mehr erschwert. Das alles, um eine Schifffahrt zu gewährleisten, die jedoch seit Jahren stark rückgängig ist und weder wirtschaftlich noch naturverträglich gestaltet werden kann. Die Elbe bis Hamburg ist heute keine geeignete Wasserstraße mehr. Die Konsequenz daraus kann nicht weiterer Buhnenausbau, sondern muss Buhnenrückbau sein. Wir plädieren daher dafür, den Fluss in diesem Bereich aus dem Bundesverkehrswegeplan zu streichen. Dies erfordert politischen Mut und gesellschaftliche Akzeptanz. Wir möchten dafür werben. Ein weiteres riesiges Problem sind die permanenten Elbvertiefungen in der Tideelbe von Hamburg bis zur Nordsee. Die neunte Vertiefung aus 2022 ermöglicht es heute Schiffen mit über dreizehn Metern Tiefgang, die Elbe zu befahren. Dies hat weitreichende negative Folgen für die Natur.
Die in diesem Flussabschnitt bislang praktizierten Renaturierungsmaßnahmen sind nicht ausreichend. Hinsichtlich des Sedimentmanagements sind komplett neue Ansätze erforderlich. In keinem Fall darf es dazu kommen, dass Elbeschlick im Nationalpark Wattenmeer abgelagert wird, da dadurch die ökologischen Bedingungen im Mündungsbereich verändert würden und eine solche Maßnahme der natürlichen Entwicklung im Nationalpark entgegensteht. Großflächige Naturschutzplanungen wie auf der ehemaligen Insel Krautsand bieten erste Hoffnungsschimmer für eine Renaturierung des ursprünglichen Land-Wasser-Mosaiks im Süßwasserbereich der Tideelbe.
Wir sind der Überzeugung, dass wir der Elbe mit ihrer eigenen Flora und Fauna die Möglichkeit geben sollten, sich ungestört und »wild« zu entfalten. Kanalisierte Wasserstraße oder lebendige Vielfalt? Wie die Elbe der Zukunft aussieht, liegt in unserer Hand.
Die Autoren
Die GDT (Gesellschaft für Naturfotografie) e.V. ist einer der größten Vereine für Naturfotografie weltweit. Ihre Mitglieder sind in 15 Regionalgruppen in Deutschland, einer Regionalgruppe in der Schweiz und einer Jugendgruppe organisiert. Ziel der GDT sind authentische und unmanipulierte Naturfotos, welche sich zum Naturschutz bekennen und gleichermaßen einen künstlerischen Anspruch bei der Auseinandersetzung mit der Natur zeigen.
29 Fotografinnen und Fotografen der GDT waren unter Regie der Regionalgruppe Sachsen und Sachsen-Anhalt über 2 Jahre an der Elbe unterwegs und haben mit ihren Kameras festgehalten, was sie an der wilden Elbe fasziniert. Auf etwa 1091 km Flusslauf vom Riesengebirge bis zum Wattenmeer entstanden so die Bilder dieses Buches.
Gabriele Werthschitzky
Erich Greiner
Erik Kopplin
Andreas Richter
Friedheim Richter
Stefan Reichert
Dietmar Itzek